Bericht über die Vorstellung des sorbischen Requiems am Sonntag, den 10. November 2019, 16:00 Uhr in Kittlitz bei Löbau - von Christian Kessner*
Mit den bekannten Worten des 84. Psalms “Wie lieblich sind deine Wohnungen” und mit dem großen Amen endete am Sonntag, dem 10. November, das Sorbische Requiem von Korla Awgust Kocor in der fast voll besetzten Kitlitzer Trinitasiskirche, also am Ort der langjährigen Tätigkeit des hoch geehrten Dorfkantors und Lehrers, des Nestor der sorbischen Kunstmusik.
Vorgetragen wurde das Requiem von vor allem deutschen Sängerinnen und Sängern, Sängern, die sich zum Lobe Gottes versammeln, den Kirchenchören Löbau und Zittau unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Christian Kühne und unter der Begleitung eines nicht ganz kleinen Orchesters. Als Solisten hörten wir ein ausgewogenes Quartett. Dass die sorbische Sopranistin Romy Petrick aus Dresden ihre Partie meistert, war für Sorben keine Überraschung. Aber, dass alle anderen Solisten und vor allem der große Chor (ich habe an die 64 Sänger gezählt) so gut und verständlich sorbisch sangen, das habe ich nicht erwartet.
Natürlich, den nicht-sorbischen Choristen stand mit den Sängern des Chores Budyšin (Dirigent: Michael Janze) ein Chor zur Seite, der seit Jahren hier und da bemüht ist, zu den deutschen Nachbarn Brücken zu bauen, ohne dass der Chor das sorbische Publikum aus dem Augen verloren hätte. Und, wie ich hörte, hat sich Herr Martin Wirth als verlässlicher Gast bei den Proben in Löbau eingefunden; er hat gewiss den einen oder anderen Hinweis zur Aussprache gegeben.
Jetzt aber nach Kittlitz: Ich kam aus Lohmen herbeigefahren, gemeinsam mit meinem ältesten Enkel, einem zwölfjährigen Jungen. Zuerst besuchten wir das Grab des Meisters Kocor an der Friedhofsmauer, wo ein Blumengesteck mit sorbischen Farben lag. Ich war mir nicht sicher, wie viele Leute hier überhaupt noch die sorbische Trikolore kennen, blau – rot - weiß? Und: wie viele sorbische Besucher würden wohl im Konzert sein? Die Zeiten ändern sich, und das Wort GOTTES in sorbischer Sprache schweigt schon seit Jahrzehnten in der Kittlitzer Kirchgemeinde... Dann aber in der Kirche: sorbische Worte hier und da. Ohne Zweifel war das etwas Besonderes für die in der Mehrheit deutschen Besucher.
Was ihnen (den deutschen) vielleicht nicht so bewusst war, ist doch das: In den vielen Jahrhunderten des Zusammenlebens von Sorben und Deutschen in der Lausitz würden wir jetzt, am 12.11.2019, in Kittlitz etwas erleben, das es meines Wissens so noch nie gab: überwiegend deutsche Kirchenchöre tragen unter Leitung eines Deutschen ein Hauptwerk - man kann wohl schon sagen: eine Perle - der sorbischen geistlichen Musik und überhaupt der sorbischen Kunstmusik vor...
Ehe das Requiem begann, sprachen die Frau Pfarrerin Süßmitt und Friedhard Schneider-Krawc, ein Mitglied der Kittlitzer Gemeinde, einer, der sich um das Sorben tun in der Löbau Gegend sehr bemüht.
Die Pfarrerin sprach sehr zu Herzen gehend und ernst und scheute sich auch nicht, das Problem der Fremdheit anzuschneiden. Ja, als Sorbe kann man es bedauern, man kann sogar darüber weinen oder darüber ärgerlich sein, der Fakt aber bleibt: für die Mehrheit der Einwohner in dieser Gegend der Lausitz ist das sorbische eine Fremdsprache (geworden) und ist das Sorbentum im besten Falle etwas Vergangenes. Das ist eben so, wie man so sagt... Und so ist es für die Kirchgemeinde alles andere als ein alltäglicher Schritt, ein sorbisches Oratorium aufzuführen.
Die Pastorin hat schließlich darauf aufmerksam gemacht, dass in GOTT keine Fremdheit ist, und dass die Musik uns alle verbindend. (Als Psychologe möchte ich noch hinzugeben: Ja, die Musik kommt aus der Tiefe des Welt-Ganzen, sie repräsentiert eine geistige Grundlage unseres Seins, eine Grundlage auf welcher auch die Nationen mit ihren Identitäten stehen.)
Herr Schneider-Krawc hat uns danach mit lieben sorbischen Tönen übergeleitet in das Oratorium, und aus der lauten Antwort aus dem Publikum auf seine beiden Grüße - für die katholischen sorbischen Besucher: Chwaleń Jězus Chryst!” / “Gelobt sei Jesus Christus!”, und für die evangelischen sorbischen Besucher Pomhaj Bóh!”/“Gott hilf!” wurde es klar, wie viele Sorben sich in Kittlitz eingefunden hatten.
Und dann erklang der erste große Chor auf die Melodie “O Haupt voll Blut und Wunden”, gesungen auf den Text des aus der Niederlausitz stammenden Pfarrers Salomo Liscow.
Ich selbst kann die gesamte Aufführung nur loben. Von den Solisten möchte ich Romy Petrick hervorheben mit ihrem im Pianissimo vorgetragenen “Sieg” in der Nummer 6 (“Ich weiß, dass mein Erlöser lebt”) und von dem Chor die große Gemeinsamkeit. Der Eindruck bei mir war, dass ein Geist herrscht.
Weil ich kein Musiker bin, habe ich mich für diesen Bericht ein wenig umgehört. Als erstes möchte ich meinen Enkel zitieren. Er hatte den Kopf ganz nach vorne geneigt und war sehr bei sich selbst. Auf einmal aber hat er mich flüsternd angesprochen: “Das ist schön!”
Und das habe ich dann noch erfahren, zuerst das von den Deutschen: “Diese wunderbare Musik... Es war keine Schwere, es war leicht... Ich wusste überhaupt nicht, welche ein Mann hier bei uns in Kittlitz lebte... Und ich habe über viele Jahre das Grab gepflegt von Kocor... Es war so volkstümlich, so nahe, wie wir selbst empfinden... Die Chöre, die haben mich überzeugt, die waren überwältigend schön... Ich hatte eine Totenmusik erwartet, und habe eine Auferstehungsmusik gehört... Dieser tragende Bass-Solist, er hat so voller Innigkeit gesungen... Wir haben uns wirklich um eine gute Aussprache bemüht, wir haben lange, lange geübt... Gut, dass wir immer den deutschen Text dabei hatten... Das war etwas ganz Besonderes für Kittlitz... Wie schön, dass wir unseren Kantor Kühne haben, der das alles so schön organisiert hat...”
Und Sorben sagten mir: “Přemóžacy (Überwältigend)... To ja njesym wočakowała. (Das habe ich nicht erwartet.)... Tajka nalada! (Diese Atmosphäre!)... Tajka próca chórow, solistow a kantora! (Diese Mühe der Chöre, der Solisten und des Kantors)...”
Ja, der Kantor. Zu ihm muss noch etwas gesagt werden: Musik kommt von Gott, in der Aufführung aber fließen alle Töne durch den Menschen hindurch, zuerst einmal durch den Kantor. Und das funktioniert nicht, ohne dass so ein Kantor sein Herz öffnet. Und das hat Herr KMD Christian Kühne getan.
Dafür ihm und allen Mitwirkenden ein Vergelt’s GOTT.
* Dieser Bericht ist eine Übersetzung des für die Monatszeitung der evangelischen Sorben geschriebenen sorbischen Originals