Angedacht

Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der HERR. Lev 19,32

Liebe Leser und Leserinnen unseres Kirchennachrichtenblattes,

erinnern Sie sich an das Märchen der Gebrüder Grimm vom alten Großvater und seinem Enkel? Es erzählt die Geschichte von einem alten Mann, dessen Augen trüb und dessen Hand zittrig geworden waren und der es nicht mehr vermochte, seine Suppe zu essen, ohne davon zu verschütten. Sein Sohn und die Schwiegertochter reagierten ungehalten über das Ungeschick des alten Mannes. Sie gaben ihm, nachdem er nun auch noch seine Schüssel zerbrochen hatte, einen seniorengerechten Seniorenteller aus bruchsicherem Material und verbannten ihn vom Familientisch. Eine Ecke hinter dem Ofen wiesen sie ihm zu. Dort sollte er seine Suppe in Zukunft alleine auslöffeln und dabei kleckern wie es ihm beliebt.

Die Geschichte entstammt dem 17. Jahrhundert. Schon damals scheint ein guter Umgang mit alten Menschen schwierig gewesen zu sein. Und wenn die Bibel uns mahnt, vor einem grauen Haupt aufzustehen und die Alten zu ehren, dann, fürchte ich, tut sie das wohl auch deshalb, weil es eben nicht selbstverständlich ist. Das ist es bis heute nicht.

Warum aber sollen wir alte Menschen in Ehren halten?

Weil sie Erfahrungen haben, die uns nützlich sein könnten? Oder weil wir später vielleicht selbst einmal alt und hilfebedürftig sein könnten und den Wunsch hegen, dass man uns auch dann noch freundlich und wertschätzend begegnet? Sicher, beides ist klug und geboten, aber es trifft nicht den Kern von Gottes Gebot.

Gott trägt uns auf, die Alten zu ehren, weil er weiß, wie gefährdet ihre Ehre ist und wie schnell wir uns über den Schwächeren erheben.

Er mahnt uns: Ein Mensch, jeder Mensch, von seiner Geburt an bis zu seinem Tod, ist Geschöpf Gottes. Und mehr noch: In jedem dieser Geschöpfe begegnen wir immer wieder dem Schöpfer selbst. Schöpfer und Geschöpf sind untrennbar miteinander verbunden.

Darum: Die Art und Weise, wie wir mit anderen und gerade auch mit den Schwächeren umgehen, sie bezeugt, wie wir zu unserem Schöpfer stehen.

Nun grüßt Sie herzlich
Ihre Elisabeth Süßmitt